Dr. Erhard Henkes 24.06.2013 >> Impressum <<
Milliwelt
Diesen Begriff verwende ich für die Fotografie in einem
Bereich, in dem die fokussierten Lebewesen oder Gegenstände nur einen oder
wenige Millimeter groß sind. Im Bereich der Insekten gelangt man unter Einsatz
eines Makroobjektives, das einen maximalen Abbildungsmaßstab von 1:1
ermöglicht, bis zur akzeptabel aufgelösten Darstellung einer Ameise, die knapp
1 cm groß ist. Bei Fliegen sieht man bei dem Abbildungsmaßstab 1:1 nur mit viel
Geschick und bei bestem Licht die Facetten der Komplexaugen in Einzelaugen
aufgelöst. Spätestens, wenn man z.B. eine 1-2 mm große Blattlaus detailliert
zeigen will, hilft das Makroobjektiv mit max. 1:1 nicht mehr weiter. Hier
beginnt die spannende Welt der Milliwelt-Fotografie.
Das Werkzeug
Ein möglicher Weg zu Abbildungsmaßstäben größer als 1:1
ist der Einsatz des Lupenobjektives MP E-65, das von Fa. Canon angeboten wird.
Die Blendenwerte lassen sich elektronisch von F/2.8 bis F/16.0
einstellen. Ein manueller Einstellring erlaubt die gleitende Einstellung
des Abbildungsmaßstabes von 1:1 bis zu 5:1. Bei einem Vollformatsensor 36 x 24
mm kann man damit bei 5:1 ein Objekt mit einer Länge von 7,2 mm „formatfüllend“
darstellen.
Schauen wir uns ein Beispiel an:
Diese Fliege habe ich ohne Stativ – also Freihand – mit
einem manuell eingestellten Abbildungsmaßstab von ca. 2,5:1, einer Blende von
F/13, einer Verschlusszeit von 1/200 s (Synchronzeit zum Blitz), +0,33 EV und
ISO 800 aufgenommen. Aus dem Gesamtbild habe ich hier einen Bildausschnitt von
4049 x 2699 Pixel gewählt. Lichtquelle war ein Blitz mit Bouncer (Diffusor).
Damit kann man also ein nur ca. ½ cm großes Insekt auf einem Monitor oder einer
Buchseite so darstellen, dass man Details wie die Einzelaugen des Komplexauges
oder feinste Haare noch gut erkennen kann. Voraussetzung ist, dass man den
gewünschten Bereich in die Schärfentiefe integriert. Für das „Scharf stellen“
gibt es keinen Einstellring, erst recht keinen Autofokus. Das erfolgt über
sanftes Vor-/Zurückbewegen der Kamera und erfordert Körperbeherrschung und eine
schnelle Reaktion im richtigen Moment.
Der Abstand zum Objekt beträgt bei meinem
Lieblingsabbildungsmaßstab von 2:1 ca. 6 cm. Das erfordert einige Übung, bis
man das Ziel trifft und scharf abbilden kann. Nachfolgend die Übersicht:
Abbildungsmaßstab |
1:1 |
2:1 |
3:1 |
4:1 |
5:1 |
Abstand Frontlinse zu Objekt |
10,1
cm |
6,3
cm |
5,1
cm |
4,4
cm |
4,1
cm |
Die Schärfentiefe ist nur gering, hier die Übersicht über
die Abbildungsmaßstäbe und Blenden, alle Werte in Mikrometer (µm):
|
F/2,8 |
F/4.0 |
F/5,6 |
F/8.0 |
F/11.0 |
F/16.0 |
1:1 |
396 |
560 |
792 |
1120 |
1584 |
2240 |
2:1 |
148 |
210 |
297 |
420 |
594 |
840 |
3:1 |
88 |
124 |
176 |
249 |
352 |
498 |
4:1 |
62 |
88 |
124 |
175 |
247 |
350 |
5:1 |
48 |
67 |
95 |
134 |
190 |
269 |
Lassen Sie sich von diesen Zahlen nicht abschrecken. Hier
eine Frontalaufnahme der Fliege von oben mit Abbildungsmaßstab 5:1, F/13, 1/200
s (Blitzsynchronzeit), +0,33 EV, ISO 800, und zwar Freihand! Die Schärfentiefe
liegt dann allerdings bei nur knapp über 0,2 mm, aber die Ergebnisse sind
faszinierend.
Da man eher mit weitgehend geschlossener Blende arbeitet,
benötigt man zumeist einen Blitz als zusätzliche Lichtquelle. Ich verwende hier
z.B. meinen standardmäßig eingesetzten Canon Speedlite
600EX-RT an einem Kabel und auf einer Blitzschiene mit Griff und Kugelkopf
relativ frei einstellbar angebracht.
Das Ergebnis (beginnende Blüte eines Sommerflieders im
Abbildungsmaßstab 3:1, Freihand, Blitz mit Bouncer):
Damit ist das Tor zur faszinierenden Milliwelt
geöffnet.
Abbildungsmaßstäbe
Der Abbildungsmaßstab ist die Relation der
Abbildungsgröße eines Objektes auf der Sensor-
oder Filmebene zur realen Größe des Originals. Nachfolgend zeige ich
eine Serie einer Blüte (Durchmesser von Blattspitze zu Blattspitze ca. 28 mm)
einer Sukkulentenart aus dem eigenen Garten, die hier
in verschiedenen Abbildungsmaßstäben von ca. 1:1 bis zum Endanschlag 5:1
aufgenommen wurde:
Während das erste Foto (1:1) eine Breite von 36 mm
(Vollformatsensor) aufweist und damit die knapp 3 cm messende Blüte vollständig
darstellen kann, zeigt das letzte Foto (5:1) eine Breite von 7,2 mm. Die gelben
Staubbeutel sind damit ca. 1 mm groß. Durch Anfertigen von Bildausschnitten (crops, digitale Vergrößerung) kann man ca. 1 mm großen
Gegenständen oder (Teilen von) Lebewesen eine enorme Größe verleihen. Ich zeige
dies an einem Staubbeutel des letzten Bildes (5:1), indem ich einen
Bildausschnitt (crop) von 1500 x 1500 Pixel
anfertige:
Damit wird dieser 1 mm große Staubbeutel nun auf dem
Monitor mehrere cm groß. Bei 10 cm wäre dies eine Vergrößerung von 100:1
bezogen auf das reale Objekt.
Motive
Die Abgrenzung zwischen der Verwendung hervorragender
Makroobjektive (bis 1:1) gegenüber dem Lupenobjektiv oder analogen Lösungen,
die einen Abbildungsmaßstab größer 1.1 erlauben, ist nicht einfach.
Dieses Bild hier wäre mir mit dem Canon 100er Makro so
nicht gelungen. Das Lupenobjektiv MP E-65 bietet hier eine Schärfe, die überzeugt.
Die Facettenaugen lassen sich damit im Vorbeigehen Freihand am lebenden und nicht
unterkühlten Objekt auflösen. Das Licht ist sicher noch optimierbar. Ich finde
die Detailtiefe allerdings bereits überzeugend. Für biologisch interessierte Zeitgenossen
hoffentlich interessant. Die Goldfliege ist aber noch ziemlich groß, nämlich 7-11 mm.
Richtig interessant wird es mit kleinen Ameisen. Die sind nur etwa halb so groß. Hier habe ich die seltene Vierpunktameise fotografiert:
Ich finde, es macht wirklich Spaß in diesen kleinen Maßstab hinab zu tauchen, denn die Details der Ameise sind ohne optische Hilfsmittel kaum noch wahr zu nehmen.
Beispielsweise kann man zählen, wieviele Facetten so ein Ameisenauge eigentlich hat.